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St. Gertrud wird zur „Kreativ-Kathedrale"

Kirche wird an Hochschule der bildenden Künste verkauft

19. Mai 2025 OCV Allgemein
Vertreter der Organisationen

Die katholische Pfarrei St. Gertrud verkauft ihre Kirche am Viehofer Platz. Künftig soll das im Zweiten Weltkrieg stark zerstörte und nach dem Krieg wieder aufgebaute Gebäude aus dem 19. Jahrhundert zu einem Zentrum für Kunst und Kultur umgebaut werden. Das haben die Pfarrei St. Gertrud und die bislang in Essen-Kupferdreh ansässige Hochschule der bildenden Künste (HBK) vereinbart. 

Die Essener Pfarrei St. Gertrud verkauft ihre Pfarrkirche am Viehofer Platz, damit dort in der nördlichen Innenstadt in Sichtweite der Universität Duisburg-Essen ein Zentrum für Kunst, Bildung und Kultur entsteht. Hauptnutzer des Gebäudekomplexes, zu dem auch das ehemalige Pfarrhaus und das bisherige Gemeindeheim gehören, wird die Hochschule der bildenden Künste (HBK), die bislang in Essen-Kupferdreh zu Hause ist. „Diese Lösung ist für uns als Pfarrei, für die Hochschule, die Kunst-Szene in Essen und für die ganze Stadt ein echter Glücksfall“, sagte Pfarrer Michael Dörnemann auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am Montag, 19. Mai. Auch der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen begrüßte die zukünftigen Entwicklungen der Kirche: „Ich freue mich sehr, dass diese traditionsreiche und stadtbildprägende Immobilie erhalten bleibt. Die Umwandlung der Kirche in ein Zentrum für Kunst, Kultur und Bildung ist ein starkes Zeichen für die kulturelle und kreative Weiterentwicklung der Stadt und kann dafür sorgen, dass Essen als kreativer und kultureller Hotspot noch stärker wahrgenommen wird.“ 

Mit Blick auf die zahlreichen sozialen Angebote erklärte der Essener Caritasdirektor Björn Enno Hermans: „Wir bedauern die Aufgabe des Kirchstandortes St. Gertrud sehr. Gleichzeitig ist es erfreulich, dass für alle haupt- und ehrenamtlichen Caritas-Angebote gute und tragfähige Lösungen gefunden wurden oder in der finalen Abstimmung sind. Unsere Arbeit für die Menschen in der Stadt wird damit konsequent fortgesetzt.“ 
Auch wenn seit 2018 feststeht, dass sich die Pfarrei St. Gertrud vor allem wegen der hohen Instandhaltungskosten des nach dem Krieg wieder mühsam aufgebauten Gebäudes und der deutlich kleiner gewordenen Gemeinde von dem markanten Gotteshaus trennen muss, war die Suche nach einem neuen Nutzer ein langwieriger und schwerer Weg. Der Umbau der Kirche zu Gewerbeflächen oder Wohnungen war auf Grund städtischer Vorgaben nicht möglich – damit schieden auch alle sozialen Projekte aus, die die Pfarrei gerade angesichts des bisherigen intensiven sozialen Engagements von Caritas, Caritas-SkF-Essen und Tafel rund um St. Gertrud geprüft hatte. Schließlich kam der Kontakt zur HBK zustande – und entwickelte sich zur Win-Win-Situation für Hochschule und Pfarrei. 

Bereits zum Wintersemester im kommenden Oktober möchte die Hochschule ihre Verwaltung und den Lehrbetrieb an den Viehofer Platz verlegen. Während in der Kirche und im Gemeindeheim Ateliers, Werkstätten, Lehr- und Veranstaltungsräume eingerichtet werden, wird die Verwaltung ins frühere Pfarrhaus einziehen. Zum echten Zentrum für Kunst und Kultur wird der bisherige Kirchenstandort aber vor allem durch die geplante flexible Nutzung: Außerhalb der Hochschulzeiten – also zum Beispiel abends, am Wochenende oder in den mehrmonatigen Semesterferien – können viele Räume auch von externen Kreativen angemietet werden. „Diese Räume stehen dann zum Beispiel Künstlerinnen und Künstlern zur Verfügung, Schulklassen oder Menschen, die gerade eine Firma gegründet haben“, sagte Prof. Daniel Lorberg (HBK). Auch die künftigen Veranstaltungsräume können für Ausstellungen, Konzerte oder Feiern jenseits des Hochschulprogramms gemietet werden. 

Wegen des ambitionierten Zeitplans der neuen Nutzerin wird sich die Pfarrei St. Gertrud bereits im Juni von ihrer Pfarrkirche verabschieden: Am Donnerstag, 19. Juni, wird ein letztes Mal der Segensaltar der Fronleichnamsprozession vor St. Gertrud errichtet – und am Freitag, 20. Juni wird ab 18.00 Uhr Gelegenheit gegeben, sich im Gertrudissaal Geschichten aus St. Gertrud zu erzählen. Am Samstag, 21. Juni haben die Menschen Gelegenheit still und je persönlich in der „Offenen Kirche“ St. Gertrud Abschied vom Kirchenraum zu nehmen. 
Am Sonntag, 22. Juni wird Bischof Franz-Josef Overbeck zusammen mit Pfarrer Dörnemann und der Gemeinde dort um 10.00 Uhr die letzte Heilige Messe feiern. Anschließend setzt die Gemeinde ihr pastorales Leben, also Gottesdienste, Veranstaltungen und andere Seelsorge-Angebote, rund 600 Meter weiter südlich fort: Künftig ist der Essener Dom mit der vorgelagerten Johannes-Kirche (Anbetungskirche) Pfarrkirche der Innenstadtpfarrei St. Gertrud. Damit kommt neues Leben in das historische Herz der Stadt und die Kirche des Ruhrbischofs, die sich darauf schon vorbereitet hat: Der am Kreuzgang gelegene Altfrid-Saal ist frisch für Gremien-Sitzungen und Veranstaltungen renoviert worden, und das Pfarrbüro ist bereits vor einigen Wochen von der Rottstraße auf die „Dom-Insel“ an den Zwölfling 12 gezogen. Zudem ist Pfarrer Dörnemann bereits seit November 2023 als Dompropst auch für die Verwaltung des Essener Doms zuständig. „Jetzt ist der Dom das Zentrum unserer Pfarrei – und doch bleiben wir weiter in der nördlichen Innenstadt ebenso präsent wie an St. Ignatius im Südviertel, in Hl. Kreuz im Südostviertel und in Huttrop mit unserer Kirche St. Bonifatius“. Die englischsprachige afrikanische Gemeinde, die viele Jahre lang ein lebhafter Bestandteil des Gemeindelebens in St. Gertrud war, ist bereits Anfang März in die Holsterhauser Kirche St. Mariä Empfängnis umgezogen. 

Für die sozialen Angebote, die bislang am Standort St. Gertrud beheimatet waren, konnten durch intensive Gespräche mit allen beteiligten Partnern gute Nachfolgelösungen gefunden werden. So lädt die Caritas mit ihrer Suppenküche und dem Tagesaufenthalt für wohnungslose Menschen künftig ins Kolping-Haus an der Steeler Straße ein. Für den Kinder- und FamilienTISCH und die Sprachkurse sind Lösung in der finalen Abstimmung. Zudem ist geplant, die von der Gemeindecaritas St. Gertrud koordinierte Lebensmittelausgabe der Tafel in Räume der Altkatholischen Gemeinde an der Bernestraße zu verlegen. „Ich bin sehr froh, dass diese vielen wertvollen Angebote auch weiterhin ein wichtiger Bestandteil unserer Innenstadt bleiben“, betonte Pfarrer Dörnemann.

INFO: St. Gertrud: 765 Jahre Pfarrei-Geschichte, davon viele Jahrhunderte ohne eigene Kirche 

Eine Gemeinde ohne echte eigene Pfarrkirche – das hat für die Pfarrei St. Gertrud gewissermaßen Tradition: Erst im Jahr 1887 wurde die heutige, nach massiven Schäden im Zweiten Weltkrieg deutlich umgebaute neugotische Kirche am Viehofer Platz geweiht. Der Bau war seinerzeit eine Reaktion auf den dramatischen Bevölkerungszuwachs durch die Industrialisierung. Bis dahin haben die Angehörigen der Pfarrei St. Gertrud ihren Glauben seit der Reformation praktisch ohne ein eigenes Gotteshaus gelebt und sich die Pfarrkirche mit der Pfarrei St. Johann geteilt (heutige Anbetungskirche). 

Ursprünglich war die – heute evangelische – Marktkirche der Hl. Gertrud geweiht. Ein erster Kirchbau an dieser Stelle könnte bereits 1043 entstanden sein. Zur Pfarrkirche erhob Äbtissin Berta von Arnsberg das zentrale Gotteshaus im Jahr 1260. Als sich in der Reformation 1563 der Rat der Stadt hinter die Bürger stellte und am 1. Mai einen lutherischen Prediger an der Gertrudiskirche einführte, hoffte man anfangs auf eine friedliche Koexistenz der beiden Glaubensrichtungen – bis der katholische Pfarrer am 11. November gewaltsam aus der Kirche gedrängt wurde. Seitdem trafen sich die Pfarrangehörigen zur Feier der Gottesdienste vor allem in der heutigen Anbetungskirche St. Johann – und ab 1827 (nach der Auflösung des Frauenstifts) in der Münsterkirche, dem heutigen Essener Dom. Dort und in der Anbetungskirche werden nun künftig wieder die Gottesdienste der Pfarrei St. Gertrud gefeiert.